Scherfede – allgemeiner Überblick

Die Gemeinde Scherfede liegt ca. 10 km nordwestlich der Kernstadt Warburg; seit der Verwaltungsreform von 1975 gehört der Ort zum Stadtgebiet von Warburg. Bereits um 850 wurde der Ort „Scerva“ als geschlossene Siedlung in den Güterregistern der Reichsabtei Corvey erwähnt. Das Steinkistengrab zwischen Scherfede und Rimbeck, die Opfersteine im Hardehauser Forst, nordöstlich von Scherfede gelegen, der Gaulskopf und der Leuchtenberg als Standort von Wall- und Fliehburgen während des Sachsenkrieges (722 bis 804) deuten auf frühgeschichtliche Entwicklung dieses Raumes hin. Als eines der frühen Klosterdörfer (siehe Abschnitt „Das Kloster in Hardehausen“) war Scherfede in seiner Entwicklung bis zur Säkularisation im Jahre 1803 eng mit dem Kloster Hardehausen verbunden. Während des Dreißigjährigen Krieges, vor allem in den Jahren 1642/43, wurde Scherfede bis zu 80 % zerstört und war kaum noch bewohnt.

Scherfede, 1992, am Südhang des Eggegebirges, nahe der Autobahn Kassel-Dortmund, im Kreuzungsbereich der B 68, B 252 und B 7. Um 850 erste urkundliche Erwähnung. In den Jahren 1642/43 zu dreiviertel zerstört. Bis zum II. Weltkrieg Knotenpunkt der Eisenbahnlinien von Nord nach Süd, sowie Ost nach West. Neben der Kernstadt Warburg der zweite industrielle Schwerpunkt mit Dienstleistungseinrichtungen und zahlreichen Einzelhandels-, Handwerks- und Industriebetrieben, die die Nahversorgung der umliegenden Orte sicherstellt.

Über Jahrhunderte war Scherfede ein Ort, dessen Bewohner der landwirtschaftlichen Nutzung des Grund und Bodens nachgingen. Die ersten Erfolge in der wirtschaftlichen Entwicklung wurden im 17. Jahrhundert durch die Anlage eines Eisenhammerwerks im Hammerbachtal erreicht. Dieser bis ins vorige Jahrhundert betriebene „Hammer“ verarbeitete das benachbarte Waldecker Roheisen zu Schmiedeeisen. Einen sichtbaren Aufschwung hatte jedoch erst die Gründung der Wollfabrik (1863) und die Fertigstellung der Eisenbahnstrecke Warburg – Scherfede im Jahre 1873 zur Folge. Industrie, Handwerk und Handel blühten in dem bis dahin reinen Bauerndorf auf. Kleineisenindustrie und holzverarbeitende Betriebe siedelten sich neben Wollfabriken an. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung kamen Handwerksbetriebe wie Bäcker, Schuster, Schreiner, Metzger, Schneider, Färber, Müller und Maurer hinzu. Handel, Gewerbe, Handwerk und Kleinindustrie machen heute (1994) Scherfede innerhalb der Großgemeinde Warburg zu einem beachtlichen wirtschaftlichen Faktor. 60 % der Arbeitsplätze entfallen auf das produzierende Gewerbe.

Auch die günstige Verkehrslage förderte die Ansiedlung kleinerer und auch größerer Handwerks- und Gewerbebetriebe. Denn in Scherfede kreuzen sich die Bundesstraßen B 7, B 68 und B 252. Zu der nahen Autobahn Kassel – Dortmund führt ein Zubringer.

Scherfede, Hardehausen und Rimbeck im Überblick.
Ausschnitt aus der Kreiskarte 1:50.000

Die Pfarrei Scherfede ist, wie sich aus dem Patrozinium des Hl. Vincenz Levita schließen läßt, sehr alt und besaß wohl schon im 10. Jahrhundert ein Gotteshaus.

1231 wurde eine Kirche in Scherfede urkundlich erwähnt; sie wurde im 17. Jahrhundert umgebaut und mußte 1857 wegen Baufälligkeit abgerissen werden. An derselben Stelle steht die heutige, im neugotischen Stil errichtete und von Bischof Konrad Martin aus Paderborn am 26. April 1863 feierlich eingeweihte Pfarrkirche.

Auch am Ende des 2. Weltkrieges war Scherfede Schauplatz kriegerischer Kampfhandlungen. Als amerikanische Soldaten von Süden und Westen her das Diemeltal besetzten, versuchten deutsche Soldaten Scherfede zu verteidigen. Am Karfreitag, den 30. März 1945, eröffneten die Amerikaner das Feuer und beschossen den Ort auch während der Osterfeiertage. Ergebnis: 19 Häuser brannten bis auf die Grundmauern nieder, zahlreiche Gebäude wurden schwer beschädigt. Auch die Kirche erhielt einen Volltreffer am Ostersonntag. Und was schlimmer ist: mehrere Personen aus Scherfede starben, zahlreiche andere wurden verwundet, 40 deutsche Soldaten sind bei diesen Kämpfen gefallen.

Hat wohl jemand von den Kämpfenden an die Geschichte bisheriger Kriege und Verwüstungen früherer Jahre gedacht, an die Not, Entbehrungen und Elend in Begleitung des Kriegsgeschehens und zu diesem Zeitpunkt des längst verlorenen Krieges daraus Folgerungen gezogen?

So sah die Scherfeder Wollfabrik im Jahr 1863 aus.

Heute liegt der größte Teil der Scherfeder Gemarkung im Naturpark „Eggegebirge – Südlicher Teutoburger Wald“. Hier entstand 1974 im Hammerbachtal ein 2,4 ha großer Erholungssee, der in Verbindung mit dem Wisent-, Wildpferd- und Sauengehege ein Anziehungspunkt für zahlreiche Besucher ist. Ein Wanderwegnetz von 70 km Länge mit großen Laub- und Nadelwäldern und Klippen, Fischteichen und neu angelegten Feuchtbiotopen erschließt die reizvolle Umgebung.

Scherfede im 15. und 16. Jahrhundert

Ab 1435 war das Kloster Hardehausen Herr und Gebieter über seine Klosterdörfer, zu denen auch Scherfede und Rimbeck zählten. Dort übte es die Grundherrschaft und niedere Gerichtsbarkeit aus. Landesherr zu dieser Zeit war der Fürstbischof von Paderborn. Der hörige Bauer besaß kein Eigentumsrecht an dem Grund und Boden, der er bearbeitete, sondern das uneingeschränkte Nutzungsrecht, das ererbbar war und auf die Nachkommen überging. Auch konnte er mit Zustimmung des Klosters Land erwerben, jedoch nicht mehr als 60 Morgen (1 Morgen = 0,25 ha). Für das Nutzungsrecht mußte der Bauer eine jährliche Abgabe zahlen, den sog. Zehnten, d. h. dass jedes 10. Bund Getreide oder Flachs bei der Ernte abgeliefert werden mußte. Daneben mußten gewisse Hand- und Spanndienste geleistet werden und bestimmte Naturalien wie Eier oder Federvieh zu festgelegten Zeiten zur Abgabestelle gebracht werden. Jedoch darf diese Erbuntertänigkeit nicht zu negativ gesehen werden; beide Seiten waren um ein gutes Verhältnis zueinander bemüht, sowohl das Kloster als auch die Bauern. Dabei muß auch bedacht werden, dass das Kloster für die Sicherheit seiner Dörfer bei Übergriffen in Fehden und Kriegszeiten zu sorgen hatte. In Scherfede wurden die Abgaben im Haupthof des Mönchhofs, später etwa nach 1700 in der Zehntscheune entrichtet. Die Zehntscheune in Scherfede wurde 1695 unter dem Klosterabt Stephan Overgaer fertiggestellt. Ein Wappen über dem Eingang der Südseite des historischen Gebäudes – ein Herz, aus dem drei Rosen wachsen – erinnert noch heute an diesen bedeutenden Priester und Ordensmann. Die Zehntscheune wurde 1977 grundlegend renoviert und dient heute als Pfarrheim kirchlichen und anderen Institutionen und Vereinen als Stätte der Bildung und Begegnung.

Die im neogotischen Stil erbaute Pfarrkirche – erbaut auf derselben Stelle der 1231 urkundlich erwähnten, 1857 abgerissenen Kirche – wurde am 26.04.1863 durch den Bischof Konrad Martin geweiht.

Im Vordergrund das Flüsschen „Springbache“.

Die Lebenshaltung der durchweg landwirtschaftlichen Bevölkerung war mit der unseren heutigen nicht zu vergleichen. Die Wohnung – besser Behausung – war einfach, häufig armselig und ungesund; Kleidung und Schuhe waren in der Regel selbst gefertigt. Die Nahrung ebenfalls einfach und wenig abwechslungsreich; Milch, Hülsenfrüchte und wenig Fleisch, dazu Brot bildeten die Grundlage. Hackfrüchte, Rüben und Runkeln waren noch unbekannt; nur die Kohlrübe, die in der Hauptsache der menschlichen Ernährung diente, wurde angebaut. Die Kartoffel kam noch nicht zum Anbau; sie verbreitete sich zwar in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch Eroberer in Europa, wurde zunächst in Spanien als Gartenpflanze angepflanzt; der Anbau in Deutschland wurde durch Friedrich den Großen (1740 bis 1786) entscheidend gefördert, erreichte aber erst um 1850 größeren Anbauumfang und als Volksnahrungsmittel große Bedeutung.

Die Kühe wurden mehr als Zugtiere denn als Milchtiere gehalten. Zu dieser Zeit war die Viehhaltung noch sehr unrentabel. Der Bestand an Rindvieh eines Hofes richtete sich nach der Flächengröße und nach dem Eigenbedarf an Milch und Milchprodukten; der Milchverbrauch war sicherlich wesentlich höher als heute, da Milchspeisen jeden Tag auf den Tisch kamen. Eine frischmelke Kuh gab nicht mehr als vier Maß = 6-7 Liter Milch, wie aus den Hardehauser Akten ersichtlich ist. Wenn das wenige Heu verbraucht war, mußte sich das Rindvieh im Winter mit Stroh durchhungern.

Einen für die heutige Zeit kaum verständlichen Umfang nahm die Bienenzucht ein. Auf jedem Hof fand man einen Bienenstand mit meist 8 bis 12 Bienenvölkern in Strohkörben; die Erträge waren durch die günstigen Trachtverhältnisse sicherlich weit höher als heute. Der Umfang war so groß, weil einmal der Honig das einzige Süßmittel darstellte und zum anderen, weil jedes Haus in Scherfede dem Kloster gegenüber einen Wachszins zu erbringen hatte.

Der landwirtschaftliche Boden war wenig ertragreich, da Stalldünger nur sehr begrenzt zur Verfügung stand und der Kunstdünger erst um 1800 durch Albrecht Thaer (1752 bis 1828) erfunden wurde. Die damals übliche Dreifelderwirtschaft – ein Drittel Sommergetreide, ein Drittel Wintergetreide und ein Drittel Brachland – und die als „Almende“ von allen gemeinsam genutzten Weiden machten den einzelnen Bauern von der Gemeinschaft sehr abhängig in der Bewirtschaftung seiner Flächen.

Zur Wohnung dienten dem Bauern Längsdielenhäuser, selten auch Querdielenhäuser; Menschen, Vieh und Ernte waren unter einem Dach. Das Vieh war zu beiden Seiten der Tenne untergebracht.

Die vom Klosterabt in Hardehausen Stephan Overgaer 1695 erbaute Zehntscheune in Scherfede – 1977 grundlegend renoviert – dient als Pfarrheim und als Stätte der Begegnung und Bildung.

Zehntscheune in Scherfede, Eingang Ostseite

Am Eingang der Südseite der Zehntscheune in Scherfede das Wappen des Erbauers Klosterabt Stephan Overgaer (Herz mit drei Rosen).

Die Wohnräume und die Küche befanden sich im hinteren Teil des Hauses. Von der Küche aus konnten die Stallungen und das Einfahrtstor überwacht werden (beim Längsdielenhaus). Die Dächer waren mit Stroh gedeckt. Schornsteine waren noch unbekannt, so dass der Rauch des offenen Herdfeuers über die Tenne geleitet wurde; im Rauch hingen die einzelnen Schweineteile. Die Beleuchtungsmittel, Wachskerzen und Rüböllampen, wurden sparsam eingesetzt. Die Betten bestanden aus einer Strohschütte oder Strohsack und einem schweren Federkissen-Oberbett.

Jede Familie baute Flachs an, verarbeitete diesen zu Linnen, das als Material für Bettzeug, Wäsche und Kittel diente. Im übrigen wurde manches Kleidungsstück aus Wolle gefertigt.

Es war ein Leben in einfachen und bescheidenen Verhältnissen; und doch fühlte sich der Bauer mit seiner Familie in seinem Dasein unter der Klosterherrschaft gesichert und geborgen und in seiner Naturverbundenheit zufrieden, ja sogar froh und dankbar, wenn der Herrgott seine Arbeit segnete. Bei Mißernten half das Kloster Hardehausen mit Saatgut und Brotkorn aus seinen reichen Vorräten aus. Auch Bauholz wurde meist unentgeltlich aus den großen Klosterwaldungen abgegeben.

Es ist überliefert, dass das Kloster auch die heranwachsende Jugend durch einen Magister im Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen unterrichtete; so wurde festgestellt, dass in den Urkunden die Zahl der des Schreibens Unkundigen seit 1500 immer geringer wurde. Abschließend kann hier auch die Hilfe des Klosters bei der Verbesserung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden und des Obstanbaus erwähnt werden; das Kloster förderte nicht nur das ewige, sondern auch das zeitliche Wohl der ihm anvertrauten Menschen nach besten Kräften. Eine gute christliche Haltung!

Die politische Verwaltung von Scherfede in diesen Jahren vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg fand durch den „Rat der Fünf“ statt, der aus dem Richter von Scherfede (das Richteramt in Scherfede wurde lange Jahre von Johann Thonemann ausgeübt), dem Bauernmeister und dem ersten, zweiten und dritten Vorsteher bestand, Personen, die vom Kloster ernannt und in ihre Aufgaben eingewiesen wurden. Der Richter war der eigentliche Führer der Gemeinde, der Bauernmeister regelte die Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft, die Weidewirtschaft auf den Wiesen und die Folge von Hand- und Spanndiensten, während die drei Vorsteher den beiden als Berater zur Seite standen. Sicherlich kann bei einer solchen Ordnung von einer Selbstverwaltung keine Rede sein. Der „Rat der Fünf“ trug nach unserem heutigen Sprachgebrauch mehr exekutiven als legislativen Charakter.

Im Jahre 1430 erwirkte das Kloster wegen der andauernden Übergriffe und Fehden vom Paderborner Fürstbischof das Recht, den Ort Scherfede zu befestigen. Zwischen Egge und Diemel wurde durch Hand- und Spanndienste aller Klosterangehörigen eine Landwehr errichtet, die aus Wall und Graben bestand. Oben auf dem Wall wurden recht dicht Hainbuchen gepflanzt, die später geköpft und deren Äste zu einer festen Hecke ineinander geflochten wurden. Dazu wurden Dorngebüsch, Wildrosen und Brombeerranken eingepflanzt, damit eine wirksame Wehr entstand. Hinzu kam ein Wachtturm, der in Fehdezeiten bei Tag und Nacht besetzt sein mußte. Der Wächter mußte eine nahende Gefahr durch Feuerzeichen ankündigen. 1437 wurde gleichermaßen der Ort Rimbeck eingefriedigt.

Die Scherfeder blieben dem bisherigen Glauben treu

Die Reformation hat auch Scherfede in Aufregung und Unruhe versetzt. Als Graf von Waldeck, Bischof von Paderborn, zur neuen Lehre übertrat und nach dem herrschenden Grundsatz „Cuius regio, eius religio“ dieses auch für die Bewohner seines Gebietes forderte, fanden immer mehr Leute aus Scherfede den Weg nach Rhoden, rund 7 km südlich von Scherfede, um dort den „neuen Predigern“ zu lauschen. Da die Klostermönche in Hardehausen dem bisherigen Glauben treu blieben, versuchten sie gemeinsam mit dem Pfarrer von Scherfede ihre „Schäfchen“ zu ermahnen, die Sonntagsmesse in Scherfede zu besuchen. Was die geistlichen Herren nicht vermochten, so wird überliefert, das brachte ein Mann aus dem Volke fertig. Folgendes geschah an einem Sonntagmorgen, als wieder die Bürger von Scherfede in großer Zahl auf dem Wege nach Rhoden unterwegs waren: In einer schmalen „Trift“ ertönte ein durchdringender Schrei „Halt“. Besagter und besorgter Mann aus dem Volke trat in den Weg und beschwor mit lauter und flehender Stimme seine Brüder und Schwestern aus Scherfede, der Kirche der Väter und der Generationen vor ihnen doch treu zu bleiben, den überlieferten Glauben zu bewahren und der Kinder wegen ihn weiterzugeben sowie das Taufgelübde nicht zu brechen. Seine aufrüttelnden Worte waren so erfolgreich, dass alle laut ihre Treue gelobten, kehrtmachten und die Rückkehr zum alten Gotteshaus sofort in die Tat umsetzten. Der Pfarrer ließ an der betreffenden Stelle ein Holzkreuz mit Corpus errichten, um die Dankbarkeit gegen Gott sichtbar zum Ausdruck zu bringen. In jedem Jahr erfolgt von der Scherfeder Kirche die Markusprozession zum „Weltkes-Kreuz“ (damaliger Grundstückseigentümer: Weltkes).

Scherfede im 30-jährigen Krieg

Der Ort Scherfede wurde zu Beginn des 30-jährigen Krieges zunächst noch verschont, jedoch kam es in den folgenden Jahren um so schrecklicher. Es begann im Winter 1621/22, als Herzog Christian von Braunschweig, der „Tolle Christian“ genannt, in das Fürstbistum einfiel und die von den Kurkölnischen Soldaten verteidigte Stadt Warburg angriff. Die Verhandlungen zwischen den beiden Kriegsparteien ergaben für den Abzug eine Kontributionssumme von 145000 Talern, widrigenfalls die ganze Gegend zerstört und man „alle Bauern niederhauen lassen“ werde. Während die geforderte Zwangsbeitragssumme beigetrieben wurde, hauste das zügellose Kriegsvolk in entsetzlicher Weise. Den Dörfern wurden Brandbriefe (an den Ecken angebrannte Briefe mit Umschrift Feuer und Blut) übergeben. Die eingeschüchterten Bewohner, auch von Scherfede, gaben alles an Lebensmittelvorräten und Geld und Wertsachen, nur um das nackte Leben und das Dach über dem Kopf zu retten. Auch die angrenzenden Hessen fielen in das Paderborner Hoheitsgebiet immer wieder zerstörerisch ein. Von August 1633 bis Mai 1646 waren Schweden unter General Baudissin mit mehreren Regimentern im Warburger Land. Erneut zogen mal diese, mal jene Truppen brandschatzend durch die Dörfer um Warburg. 1642 und 1643 waren die katastrophalen Unglücksjahre für Scherfede. Als Ergebnis der furchtbaren Zerstörungen dieser schrecklichen Kriegsjahre folgende Statistik: „Von allen Häusern dieser Zeit in Scherfede (1643) wurden * niedergebrannt und zerstört; von gut 100 Familien waren 1643 noch 33 vorhanden; nur 18 bäuerliche Betriebe standen noch in eingeschränkter Funktion. An Pferden waren noch fünf und an Rindvieh noch 78 Stück vorhanden, darunter 20 Kühe“. Die in großer Blüte stehende Schafzucht war vollkommen vernichtet worden. Rund 30 Häuser (Wohnhäuser und Nebengebäude) standen noch, von den anderen heißt es wörtlich: „alles umgehauen, alles verbrannt, verwüstet und verdorben.“

Auch die Familie Johann Thonemann wurde hart getroffen; in der Statistik heißt es: „Johann Thonemann 2 Häuser verbrannt“.

Da nun jegliches Wagen- und Ackergerät fehlte, auch die Zugtier, dachten die im Ort Verbliebenen nicht mehr daran, ihre Äcker zu bestellen, auch im Hinblicke darauf, dass morgen oder übermorgen neue Requirierungen oder Zerstörungen stattfinden würden. Die Geldschulden der 33 noch anwesenden Familien betrugen laut Register 2400 Taler, eine hohe Schuldsumme, wenn man den Vergleich zu einem guten Pferd zieht, das in jener Zeit mit 10 Talern bezahlt wurde. Die obdachlos und völlig mittellos gewordenen Bewohner vagabundierten auf der Suche nach dringend nötiger Nahrung im Land umher oder schlossen sich, um überhaupt weiterleben zu können, durchziehenden Truppen an, mit denen sie dann ebenso zügellos lebten und plünderten wie diese.

Wieviel Menschenleben diese bösen Jahre allein aus dem kleinen Ort Scherfede forderten, ist nicht bekannt. Dass von den Söldnern und Banditen viele im Ort ihr Leben lassen mußten, kann aus den späteren Funden beim Ausschachten für den Schulbau in Scherfede aus den aufgefundenen Gebeinen und den Waffen des Krieges geschlossen werden.

Wie schrecklich einzelne Jahre des Dreißigjährigen Krieges für jeden Bürger sein konnten, kann einem Bericht von Pfarrer Wahle entnommen werden: „1638 haben die Regimenter Götz in Wrexen (ca. 3 km südwestlich von Scherfede) mit übermäßigem Branntwein- und Biersaufen, Geldpressung, Fruchtverderbung und schändlicher Hurerei solch Unheil angerichtet, dergleichen allhier noch niemals vorgegangen. 1640 am Neujahrstage haben die Stadtbergischen zu Roß und Fuß Werthen (ca. 5 km südostwärts Scherfede) überfallen, alles Vieh mitgenommen, auch den Leuten Schuh und Kleider ausgezogen, alle Viktualien (Lebensmittel, Eßwaren) an sich gerissen. Im Zurückziehen haben sie Wrexen überfallen, 13 Kühe und etliche Ziegen ertappt und sengt wie in Wethen.“

Es ist wohl eindeutig, dass sich Roheit und Zuchtlosigkeit der Soldaten, Söldner und der vagabundierenden Gruppen auch auf die verbliebenen Bauern in der Abwehr von Feindseligkeiten und dem Schutz der Familienangehörigen sowie von Haus, Vieh und Lebensmitteln übertrug.

Zu allen furchtbaren Geschehnissen durch den Krieg kam als ständiger Begleiter dieser Kriegsfurie noch der „Schwarze Tod“ hinzu, Pest (Seuche, die früher meist zum Tode führte) und Blattern (Pocken, eine ansteckende und gefährliche Seuche – Sterblichkeit um 30 % der Befallenen bei mittlerer Schwere).

Mönchhof Scherfede um die Jahrhundertwende

Auch das Kloster Hardehausen wurde schwer betroffen durch den Krieg; es konnte die Sicherheit und den Schutz der Dörfer überhaupt nicht mehr gewährleisten. Es heißt in einem Bericht von 1632, dass „die Mönche heimatlos im Lande umherirrten“.

Am Ende des Krieges 1648 bestand der Konvent noch aus sechs Mönchen und Novizen

Nach dreißig Jahren ertönte das Wort Friede im Jahre 1648. Dreißig Jahre des Schlachtens, des Brennens, der Plünderung, der Verwüstung und der Krankheiten. Zwei Drittel, die Elite der Bevölkerung, waren dahingerafft. Was noch überlebte, war gebrochen, verwildert; ein „Hauch der Verwesung“ hatte sich über Deutschland ausgebreitet. Wenn eine Nation an ihrer eigenen Sprache und Haltung irre wird, wie die deutsche in jener Zeit, so ist es ein Zeichen, dass sie in ihrem innersten Mark angegriffen ist. Die Schilderungen des Elends jener Zeit lauten entsetzlich.“ (Dr. v. Weiß)

Scherfede nach dem Kriege

Scherfede hatte am Ende des Krieges nur noch ca. 200 Einwohner in 35 Häusern; die Bewohner waren mit wenigen Ausnahmen Bauern. „Den größten Landbesitz wiesen auf die Bauern Thonemann, Lossen, Fleigen, Wiemers und Locken“. Sie besaßen je über 60 Morgen.

Nach dem langen Krieg trat in den Besitzverhältnissen eine entscheidende Änderung ein. Während in der Zeit vor dem Krieg, besonders zur Zeit der Blüte von Hardehausen, das Kloster die Ländereien den Bauern zu Lehen gab, zwang nach dem Krieg der Mangel an dienenden Brüdern oder sonstigen Hilfskräften im Kloster, die Eigenwirtschaft in den Klosterdörfern, auch in Scherfede, aufzugeben und den Landbesitz an die Bauern in Pacht zu vergeben. Die dauernde Geldverlegenheit des Klosters ließ so nach und nach eine grundsätzliche Änderung zu: die Bauern konnten das Land zu Eigentum erwerben. Davon wurde wegen der ständigen Geldknappheit des Klosters eifrig Gebrauch gemacht. Auch das gewerbliche Leben in Scherfede gewann nach dem Kriege wieder an Bedeutung. Eine schon früher bestandene Verkaufsstelle für gewerbliche Produkte handelte mit handwerklichen Erzeugnissen. Auch die Herstellung von Pottasche (Kaliumcarbonat K2CO3 – bei der Seifen- und Glasherstellung benötigt – durch Auslaugen von Pflanzenasche mit Wasser und Eindampfen dieser Lösungen in Töpfen – „Pötten“ gewonnen) nahm in Scherfede nachweisbar wieder zu. Das Schmiedehandwerk widmete sich wieder der Herstellung von Ackergeräten und führte Pferde- und Wagenbeschlag aus. Die Schuhmacher und Schneider arbeiteten seinerzeit im Haus der Auftraggeber; sie erhielten meistens Naturalien sowie Kost als Entgelt, auch häufiger Gespannleistungen für die selbst von ihnen bearbeiteten Äcker.

Gasthof Knepper (heute, 1994, Luis)

Fleischer und Bäcker gab es noch nicht, lediglich den Hausschlachter, der in die einzelnen Häuser zum Schlachten und Verarbeiten des Viehs ging. Das Brot haben die meisten Familien im eigenen Backofen, der in der Regel abseits des Wohnhauses im Garten stand, gebacken. Der Stellmacher fertigte auf Bestellung die Wagen an, aber auch Bettstellen und sonstigen Hausrat. Die Hebamme genoss im Dorf besonderes Ansehen; neben ihrer Aufgabe als Geburtshelferin wurde sie als Ratgeberin und Pflegerin bei allen schweren Krankheiten herangezogen. In den Kirchenbüchern wurde bei Eintragung ihres Todes auch die Zahl der Geburten vermerkt, bei denen sie als Helferin zugezogen worden war.

Aus den Kirchenbüchern der Pfarrgemeinde Scherfede, die im Jahre 1640 beginnen, kann man einen Einblick in die Familienverhältnisse aus dieser Zeit gewinnen, so z. B.

die Taufe erhielten:

1640 3 Kinder

1644 20 Kinder

1650 33 Kinder

1660 45 Kinder

1670 53 Kinder

gestorben sind:

1640 8 Personen

1641 25 Personen

1648 6 Personen

1650 13 Personen

1660 17 Personen

Zwölf Jahre nach Beendigung des Krieges, im Jahre 1660, zeigen die angegebenen Zahlen einen gleichmäßigen, langsamen Anstieg. Das Leben verlief wieder in normalen Bahnen. Auffallend groß war jedoch in diesen Jahren die Kindersterblichkeit. So befanden sich doch unter 17 Toten aus Scherfede 8 Kinder, 1676 unter 61 Toten der drei Klosterdörfer sogar 35 Kinder. Hierfür waren wohl die Seuchen, vorwiegend die Blattern, verantwortlich.

Die Inschrift über der Tür des Hauses Briloner Str. 38 (heutige Besitzerin, 2001, Margarete Ploeger) lautet:

BERHARDVS SCHEISERS VND SEINE EFRAU ELISABEHA SCHWIGARDI HABEN AUF GOT SÜR TRAUERT UND DIESES HAUS GEBAUT IM JAHRE ANNO 1798

Zum Ende des 17. Jahrhunderts kamen in Scherfede wieder geordnete Verhältnisse auf, da der fleißige und durchsetzungsbereite Westfalengeist wieder die Oberhand gewann.

Von Interesse ist wohl die damalige Schreib- und Ausdrucksweise vor drei Jahrhunderten, die von der heutigen doch stark abwich; als ein Beispiel des Schreibens und des Ausdrucks soll hier aus dem Schatzungsregister aus dem Jahre 1717 von Scherfede berichtet werden, bei dem „Aredt tohnemann“ beteiligt war:

„Anno 1717 drei May Undt Nachfolgenden wochen Undt tagen subReverendissino ac Amplissimo Dno. Laurentio Kremper Abbato hardehusano, sind die in der Scherfedeschen feldmark liegende ländereye wiesen Undt gahrten Von Johannes Boden, Landmesteren aus pickelsheimb quodam camerario daselbst dessen Ruthenschläger gewesen, Undt vom Abt erstlich beeydigt worden, Aredt tohnemann Undt Conrad riesen so gemessen, Undt zu register gebracht worden, Von dem Richter, Burgemeister, Vorsteher Undt ältesten aber aus der Gemeinheit, zur Schatzung gesetzt wie es Vor Undt allezeit gewesen:“

Nach dem Register von 1717 hatte Johann Thonemann nach Johann Möller und Ricus Biggen den größten Grundbesitz mit 65 Morgen in Scherfede. Als selbständige Bauern waren nur die Besitzer einer Ackernahrung (mindestens 30 Morgen) anzusehen. Die Grundstücke waren noch nicht katastermäßig erfaßt und festgelegt, sondern wurden durch Angabe der benachbarten Grundstücke verbucht.

Das geerntete Korn war recht schwierig zu reinigen; die vielen Unkräuter verunreinigten nicht nur den Acker, sondern beeinflussten auch den Geschmack des Brotes. Die Ackergeräte waren äußerst primitiv gegenüber den heutigen. Eine mittlere Ernte ergab bei Durchschnittsackerböden an Roggen und Gerste etwa 5 Scheffel (= 200 kg), an Hafer rd. 6 Scheffel. Die Preise bewegten sich bei Hafer, Roggen und Gerste zwischen 10 und 18 Silbergroschen für den Scheffel (80 Pfund); ein Morgen Ackerland wurde mit 8 bis 15 Talern, je nach Bodengüte, bezahlt.

Die Inschrift über der Tür des Hauses Briloner Str. 23 (heutiger Besitzer, 2001, Ferdinand Döring) lautet:

GOT SEY DER BESCHÜTZER UND SEGNE DEN BESITZER JOSEPH DÖRING · UND SEINE MUTTER HABEN AUF GOT VERTRAUT UND DIESES HAUS GEBAUET. ANNO 1811

Auffallend bei der Betrachtung der Eigentumsverhältnisse ist der häufige Besitzerwechsel in der Zeit zwischen 1717 und 1790. Nur sieben Höfe blieben in dieser Zeitspanne im alten Besitz; vermutlich eine Folge des Siebenjährigen Krieges, der viele Opfer forderte und manchen arm gewordenen Hofbesitzer abwandern ließ.

Im Frühjahr 1758 zogen fast täglich Truppen durch Scherfede und Rimbeck; ein Regiment deutsch-englischer Truppen wurde von Oktober 1758 bis Ostern 1759 in Warburg und in den Dörfern Rimbeck, Ossendorf und Scherfede einquartiert. Am 31. Juli 1760 kam es in der Gegend von Scherfede zur Schlacht zwischen den englischen und französischen Truppen. Die Franzosen mußten weichen; ein Morden und Gemetzel begann. Ergebnis: 3000 Tote und Verwundete bedeckten das Schlachtfeld.

In den folgenden Jahren bildete die Diemel die Grenze. Scherfede und Rimbeck hatten durch die ständigen Truppenbewegungen und Plünderungen zu leiden. Da die Truppenverbände viel Brennholz benötigten, wurden die nahen Wälder gerodet, Zäune und Scheunen abgerissen und verbrannt. Eine starke Verschuldung der Bauern machte sich breit, etliche wurden dadurch zum Verkauf ihres Besitzes gezwungen.