Frankfurter Nationalversammlung

Nachdem die bürgerliche Bewegung seit 1847 nachdrücklich die Wahl einer nationaldeutschen Volksvertretung gefordert hatte und die Februarrevolution in Paris den Anstoß zu einer revolutionären Bewegung in Österreich, den deutschen Mittelstaaten und schließlich auch in Preußen gegeben hatte, war es für eine Bundesreform von oben, wie sie die deutsche und österreichische Regierung anstrebten, zu spät; im März 1848 brach das System des Deutschen Bundes zusammen. Der in Frankfurt tagende Bundestag, dessen Zusammensetzung zunächst durch den Eintritt liberaler Vertreter der Einzelstaaten wesentlich verändert wurde, machte weitgehende Zugeständnisse an die revolutionäre Bewegung; er selbst setzte einen Ausschuß von 17 Vertrauensmännern ein, der den Entwurf zu einer neuen deutschen Verfassung ausarbeiten sollte, und beschloß am 30. März, die einzelstaatlichen Regierungen zur Abhaltung von Volkswahlen für eine deutsche verfassunggebende Versammlung aufzufordern. Unabhängig davon trat in Frankfurt am 31. März das Vorparlament zusammen, zu dem alle Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten und eine Reihe weiterer Persönlichkeiten eingeladen wurden, auf dem aber die Vertreter des deutschen Südwesten das Übergewicht hatten. Nach der Einigung auf die Wahlgrundsätze berief das Parlament einen Fünfzigerausschuß, der die Wahl einer Nationalversammlung beschloß. Nachdem der Bundestag sich diesen Beschluss zu eigen gemacht hatte, fanden die Wahlen auf der Grundlage entsprechender einzelstaatlicher Gesetze nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht im Gebiet des Deutschen Bundes und in den nicht zum Bundesgebiet gehörenden östlichen Provinzen Preußens und Schleswig statt.

Einzug der Abgeordneten in die Paulskirche am 18. Mai 1848. Die Paulskirche, 1786 bis 1833 im klassizistischen Stil erbaut, war der Nationalversammlung als Tagungsort zur Verfügung gestellt worden. Zeitgenössische Darstellung.

Die Deutsche Nationalversammlung

Am 18. Mai 1848 wurde die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt eröffnet und daher vielfach selbst Paulskirche genannt; sie wählte Heinrich von Gagern zum Präsidenten. Ihre Mitglieder entstammten der geistigen Elite des deutschen Volkes; so waren zahlreiche Professoren, Richter, Anwälte. Lehrer, Geistliche und höhere Verwaltungsbeamte gewählt worden. Dagegen fehlten Handwerker, Bauern und Arbeiter fast völlig. Die konservative Rechte war schwach; die Hochkonservativen fehlten gänzlich. Die Mehrzahl der Frankfurter Nationalversammlung gehörte den Liberalen an; die auf der Linken stehenden Demokraten waren geteilt in eine gemäßigtere und eine radikal-revolutionäre Richtung.

Die Aufgabe der Deutschen Nationalversammlung war, eine Verfassung zu schaffen, die an die Stelle des Deutschen Bundes einen deutschen Bundesstaat setzen sollte. Da dafür eine Einigung der einzelstaatlichen Regierungen nicht zustande kam, musste die Frankfurter Nationalversammlung aus eigener Kraft handeln. Sie begann am 28./29. Juni 1848 mit der Einsetzung einer vorläufigen Zentralgewalt und der Wahl des Erzherzogs Johann von Österreich zum Reichsverweser; dieser berief alsbald ein Reichsministerium, dem aber jeder verwaltungsmäßige Unterbau fehlte. Obwohl der neben der Frankfurter Nationalversammlung noch bestehende Bundestag seine Zuständigkeiten auf den Reichsverweser übertrug, zeigte sich bald, dass sich die Zentralgewalt gegenüber den größeren Einzelstaaten nicht durchsetzen konnte.

Krisenerscheinungen

Die erste große Krise der Frankfurter Nationalversammlung bildete die Auseinandersetzung um den mit Dänemark abgeschlossenen Waffenstillstand von Malmö. Preußen hatte dabei seine vom Reichsverweser erhaltene Vollmacht überschritten. Die Mehrheit verwarf zunächst den Waffenstillstand, der Schleswig-Holstein preisgab, musste dann aber die eigene Ohnmacht erkennen, zumal auch die großen ausländischen Mächte, Russland, England und Frankreich, sich in der Sache gegen die Frankfurter Nationalversammlung stellten. Die Annahme des Waffenstillstandes durch die Frankfurter Nationalversammlung folgte am 18. September ein Aufstand der Linken, der durch österreichische und preußische Truppen niedergeworfen wurde; das Parlament tagte seitdem unter militärischem Schutz. Die innenpolitischen Gegensätze zwischen der von Robert Blum geführten Linken und der liberalen Mitte verschärften sich jetzt. Das moralische Ansehen, das die Frankfurter Nationalversammlung zunächst in ganz Deutschland besessen hatte, nahm ab. Die Auseinandersetzungen der einzelstaatlichen Parlamente traten in wachsendem Maße in den Vordergrund. Die Vielheit der parlamentarischen Körperschaften schadete den liberalen und demokratischen Gedanken, zumal die in Berlin tagende preußische Nationalversammlung im Gegensatz zum Frankfurter Parlament geriet.

Die Frankfurter Nationalversammlung hatte in den ersten Monaten im wesentlichen die Grundrechte beraten und den in einzelstaatlichen Verfassungen bereits vorhandenen Katalog von Freiheitsrechten durch das vorweg in Kraft tretende Gesetz über die Grundrechte des Deutschen Volkes vom 27. Dezember 1848 zu einem System umfassenden Freiheitsschutzes ausgebaut. Die Deutsche Frage, d. h. der Umfang und die Organisation des geplanten Deutschen Reiches, konnte solange kaum behandelt werden, als das Schicksal der habsburgischen Monarchie noch nicht geklärt war. In den ersten Monaten der Revolutionszeit schien diese auseinanderzufallen; das hätte vielleicht ermöglicht, einen „großdeutschen“ Bundesstaat mit preußischer Spitze, d. h. mit einem zum deutschen Kaiser gewählten preußischen König, zu schaffen.

Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche. Auf dem Podium der Präsident Heinrich von Gagern. Das Podium steht auf der Stelle des ursprünglichen Kanzelaltars. Zeitgenössische Darstellung.

Die Deutsche Frage

Die Auseinandersetzungen um die Deutsche Frage, die im Herbst 1848 begannen und im Januar 1849 auf dem Höhepunkt standen, wurden dadurch beeinträchtigt, dass bei beiden Großmächten, in Preußen und in Österreich, im Herbst 1848 die „Reaktion“ siegte und dass an eine Auflösung des habsburgischen Staates in seine Teile nicht mehr zu denken war. Die österreichische Regierung unter F. Fürst zu Schwarzenberg, die bei der Niederwerfung der Revolution in Wien den Vertreter der Linken der Frankfurter Nationalversammlung, Robert Blum, hatte erschießen lassen, betonte immer schärfer, dass das deutsche Verfassungswerk sich den Bedürfnissen des österreichischen Gesamtstaates unterzuordnen habe, dass dessen Bestand erhalten bleiben müsse und dass er als Ganzes, einschließlich seiner nichtdeutschen Gebiete, ein Teil des deutschen Gesamtstaats werden müsse. Darauf vollzog sich in der Frankfurter Nationalversammlung eine neue Gruppierung. Während die Linke jetzt entschieden gegen eine monarchische Lösung eintrat, bildeten sich aus der bisherigen Mehrheit die politischen Gruppen, für die sich seit Januar 1849 die Bezeichnung kleindeutsch und großdeutsch einzubürgern begann. Während die Mehrzahl der Kleindeutschen, die sich selbst Erbkaiserliche nannten, eine Aufnahme Gesamtösterreich mit seinen nichtdeutschen Teilen aus nationalen Beweggründen ablehnte und angesichts der durch Österreichs Haltung bestehenden Zwangslage an die Schaffung eines vorläufig kleindeutschen Bundesstaates mit dem preußischen König als Kaiser dachte, bekämpfte die in ihrer politischen Zusammensetzung keineswegs einheitliche Gruppe der Großdeutschen, z. T. aus innerpolitischen und partikularistischen Gründen, eine „preußische Spitze“; auf beiden Seiten wirkten dabei sehr deutlich die konfessionellen Gegensätze ein.

Die Erschießung Robert Blum, Mitglied der Nationalversammlung, vor Wien am 9. November 1848. Zeitgenössische Darstellung.

Ausklang

Im Dezember 1848 trat der Österreicher A. Ritter von Schmerling, der seit September an der Spitze des Reichsministerium gestanden hatte, zurück, als die Haltung der Regierung ihm alle Möglichkeiten genommen hatte, die Deutsche Frage großdeutsch zu lösen. Am 18. Dezember 1848 übernahm Heinrich von Gagern die Leitung des Reichsministeriums; an seiner Stelle wurde E. Simson zum Präsidenten des Parlaments gewählt. Gagern versuchte vergeblich, die Gegensätze durch das Programm des Engeren und Weiteren Bundes zu versöhnen, d. h. er wollte einen kleindeutschen Bundesstaat mit preußischer Spitze und daneben einen weiteren Bund dieses kleindeutschen Bundesstaates mit der österreichischen Gesamtmonarchie schaffen. Schließlich machte die habsburgische Politik durch die Gesamtstaatsverfassung auch diese Lösung unmöglich. Eine Mehrheitsbildung der Kleindeutschen war aber erst möglich, als in innenpolitischen Fragen, u. a. in der Frage des Wahlrechts, eine Reihe von Konzessionen an die Gruppe der Linken gemacht worden war. Am 28. März 1849 wurde König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit 290 Stimmen bei 248 Enthaltungen zum erblichen Kaiser gewählt.

Das Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung war damit abgeschlossen; aber seine Verwirklichung scheiterte zunächst daran, dass der preußische König die Kaiserkrone ablehnte, und schließlich daran, dass trotz der bedingungslosen Anerkennung der Reichsverfassung durch 28 deutsche Regierungen doch die Reaktion in den meisten größeren Staaten die Oberhand gewann. So beriefen Österreich und Preußen sowie die Mehrzahl der deutschen Einzelstaaten ihre Abgeordneten aus der Frankfurter Nationalversammlung ab. In Sachsen und Baden brachen Aufstände aus, die im Gegensatz zu den Regierungen die Reichsverfassung durchzusetzen versuchten, aber mit preußischer Hilfe niedergeworfen wurden. Der Rest der Abgeordneten, das aus ungefähr 100 Radikalen bestehende Rumpfparlament, hatte seinen Sitz nach Stuttgart verlegt; es wurde dort am 18. Juni 1849, als genau 13 Monate nach dem von so vielen Hoffnungen begleiteten Zusammentritt der Nationalversammlung, von der württembergischen Regierung unter Einsatz von Militär aufgelöst.

Trotz ihres Scheiterns ist die politische Bedeutung der Frankfurter Nationalversammlung und ihre Nachwirkung über den kleindeutschen Staat Bismarks hinaus bis zur Verfassung der Weimarer Republik überaus bedeutungsvoll gewesen. Obwohl das Verfassungswerk nicht in Kraft trat, sind viele seiner Grundgedanken aus dem deutschen politischen Leben nicht mehr verschwunden.