|
Scherfede – allgemeiner Überblick
Die Gemeinde Scherfede liegt ca. 10 km nordwestlich der Kernstadt
Warburg; seit der Verwaltungsreform von 1975 gehört der Ort
zum Stadtgebiet von Warburg. Bereits um 850 wurde der Ort „Scerva“
als geschlossene Siedlung in den Güterregistern der Reichsabtei
Corvey erwähnt. Das Steinkistengrab zwischen Scherfede und
Rimbeck, die Opfersteine im Hardehauser Forst, nordöstlich
von Scherfede gelegen, der Gaulskopf und der Leuchtenberg als Standort
von Wall- und Fliehburgen während des Sachsenkrieges (722 bis
804) deuten auf frühgeschichtliche Entwicklung dieses Raumes
hin. Als eines der frühen Klosterdörfer (siehe Abschnitt
„Das Kloster in Hardehausen“)
war Scherfede in seiner Entwicklung bis zur Säkularisation
im Jahre 1803 eng mit dem Kloster Hardehausen verbunden. Während
des Dreißigjährigen Krieges, vor allem in den Jahren
1642/43, wurde Scherfede bis zu 80 % zerstört und war kaum
noch bewohnt.
|
 |
Scherfede,
1992, am Südhang des Eggegebirges, nahe der Autobahn
Kassel-Dortmund, im Kreuzungsbereich der B 68, B 252
und B 7. Um 850 erste urkundliche Erwähnung. In
den Jahren 1642/43 zu dreiviertel zerstört. Bis
zum II. Weltkrieg Knotenpunkt der Eisenbahnlinien von
Nord nach Süd, sowie Ost nach West. Neben der Kernstadt
Warburg der zweite industrielle Schwerpunkt mit Dienstleistungseinrichtungen
und zahlreichen Einzelhandels-, Handwerks- und Industriebetrieben,
die die Nahversorgung der umliegenden Orte sicherstellt. |
|
|
Über Jahrhunderte war Scherfede ein Ort, dessen Bewohner der
landwirtschaftlichen Nutzung des Grund und Bodens nachgingen. Die
ersten Erfolge in der wirtschaftlichen Entwicklung wurden im 17.
Jahrhundert durch die Anlage eines Eisenhammerwerks im Hammerbachtal
erreicht. Dieser bis ins vorige Jahrhundert betriebene „Hammer“
verarbeitete das benachbarte Waldecker Roheisen zu Schmiedeeisen.
Einen sichtbaren Aufschwung hatte jedoch erst die Gründung
der Wollfabrik (1863) und die Fertigstellung der Eisenbahnstrecke
Warburg – Scherfede im Jahre 1873 zur Folge. Industrie, Handwerk
und Handel blühten in dem bis dahin reinen Bauerndorf auf.
Kleineisenindustrie und holzverarbeitende Betriebe siedelten sich
neben Wollfabriken an. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung kamen
Handwerksbetriebe wie Bäcker, Schuster, Schreiner, Metzger,
Schneider, Färber, Müller und Maurer hinzu. Handel, Gewerbe,
Handwerk und Kleinindustrie machen heute (1994) Scherfede innerhalb
der Großgemeinde Warburg zu einem beachtlichen wirtschaftlichen
Faktor. 60 % der Arbeitsplätze entfallen auf das produzierende
Gewerbe.
Auch die günstige Verkehrslage förderte die Ansiedlung
kleinerer und auch größerer Handwerks- und Gewerbebetriebe.
Denn in Scherfede kreuzen sich die Bundesstraßen B 7, B 68
und B 252. Zu der nahen Autobahn Kassel – Dortmund führt
ein Zubringer.
 |
 |
Scherfede,
Hardehausen und Rimbeck im Überblick.
Ausschnitt aus der Kreiskarte 1:50.000
(Vergrößerung durch Mausklick) |
|
|
Die Pfarrei Scherfede ist, wie sich aus dem Patrozinium des Hl.
Vincenz Levita schließen läßt, sehr alt und besaß
wohl schon im 10. Jahrhundert ein Gotteshaus.
1231 wurde eine Kirche in Scherfede urkundlich erwähnt; sie
wurde im 17. Jahrhundert umgebaut und mußte 1857 wegen Baufälligkeit
abgerissen werden. An derselben Stelle steht die heutige, im neugotischen
Stil errichtete und von Bischof Konrad Martin aus Paderborn am 26.
April 1863 feierlich eingeweihte Pfarrkirche.
Auch am Ende des 2. Weltkrieges war Scherfede Schauplatz kriegerischer
Kampfhandlungen. Als amerikanische Soldaten von Süden und Westen
her das Diemeltal besetzten, versuchten deutsche Soldaten Scherfede
zu verteidigen. Am Karfreitag, den 30. März 1945, eröffneten
die Amerikaner das Feuer und beschossen den Ort auch während
der Osterfeiertage. Ergebnis: 19 Häuser brannten bis auf die
Grundmauern nieder, zahlreiche Gebäude wurden schwer beschädigt.
Auch die Kirche erhielt einen Volltreffer am Ostersonntag. Und was
schlimmer ist: mehrere Personen aus Scherfede starben, zahlreiche
andere wurden verwundet, 40 deutsche Soldaten sind bei diesen Kämpfen
gefallen.
Hat wohl jemand von den Kämpfenden an die Geschichte bisheriger
Kriege und Verwüstungen früherer Jahre gedacht, an die
Not, Entbehrungen und Elend in Begleitung des Kriegsgeschehens und
zu diesem Zeitpunkt des längst verlorenen Krieges daraus Folgerungen
gezogen?
 |
 |
So
sah die Scherfeder Wollfabrik im Jahr 1863 aus. |
|
|
Heute liegt der größte Teil der Scherfeder Gemarkung
im Naturpark „Eggegebirge – Südlicher Teutoburger
Wald“. Hier entstand 1974 im Hammerbachtal ein 2,4 ha großer
Erholungssee, der in Verbindung mit dem Wisent-, Wildpferd- und
Sauengehege ein Anziehungspunkt für zahlreiche Besucher ist.
Ein Wanderwegnetz von 70 km Länge mit großen Laub- und
Nadelwäldern und Klippen, Fischteichen und neu angelegten Feuchtbiotopen
erschließt die reizvolle Umgebung.
Scherfede im 15. und
16. Jahrhundert
Ab 1435 war das Kloster Hardehausen Herr und Gebieter über
seine Klosterdörfer, zu denen auch Scherfede und Rimbeck zählten.
Dort übte es die Grundherrschaft und niedere Gerichtsbarkeit
aus. Landesherr zu dieser Zeit war der Fürstbischof von Paderborn.
Der hörige Bauer besaß kein Eigentumsrecht an dem Grund
und Boden, der er bearbeitete, sondern das uneingeschränkte
Nutzungsrecht, das ererbbar war und auf die Nachkommen überging.
Auch konnte er mit Zustimmung des Klosters Land erwerben, jedoch
nicht mehr als 60 Morgen (1 Morgen = 0,25 ha). Für das Nutzungsrecht
mußte der Bauer eine jährliche Abgabe zahlen, den sog.
Zehnten, d. h. dass jedes 10. Bund Getreide oder Flachs bei der
Ernte abgeliefert werden mußte. Daneben mußten gewisse
Hand- und Spanndienste geleistet werden und bestimmte Naturalien
wie Eier oder Federvieh zu festgelegten Zeiten zur Abgabestelle
gebracht werden. Jedoch darf diese Erbuntertänigkeit nicht
zu negativ gesehen werden; beide Seiten waren um ein gutes Verhältnis
zueinander bemüht, sowohl das Kloster als auch die Bauern.
Dabei muß auch bedacht werden, dass das Kloster für die
Sicherheit seiner Dörfer bei Übergriffen in Fehden und
Kriegszeiten zu sorgen hatte. In Scherfede wurden die Abgaben im
Haupthof des Mönchhofs, später etwa nach 1700 in der Zehntscheune
entrichtet. Die Zehntscheune in Scherfede wurde 1695 unter dem Klosterabt
Stephan Overgaer fertiggestellt. Ein Wappen über dem Eingang
der Südseite des historischen Gebäudes – ein Herz,
aus dem drei Rosen wachsen – erinnert noch heute an diesen
bedeutenden Priester und Ordensmann. Die Zehntscheune wurde 1977
grundlegend renoviert und dient heute als Pfarrheim kirchlichen
und anderen Institutionen und Vereinen als Stätte der Bildung
und Begegnung.
 |
 |
Die
im neogotischen Stil erbaute Pfarrkirche - erbaut auf
derselben Stelle der 1231 urkundlich erwähnten,
1857 abgerissenen Kirche - wurde am 26.04.1863 durch
den Bischof Konrad Martin geweiht.
Im Vordergrund das Flüsschen "Springbache". |
|
|
Die Lebenshaltung der durchweg landwirtschaftlichen Bevölkerung
war mit der unseren heutigen nicht zu vergleichen. Die Wohnung –
besser Behausung – war einfach, häufig armselig und ungesund;
Kleidung und Schuhe waren in der Regel selbst gefertigt. Die Nahrung
ebenfalls einfach und wenig abwechslungsreich; Milch, Hülsenfrüchte
und wenig Fleisch, dazu Brot bildeten die Grundlage. Hackfrüchte,
Rüben und Runkeln waren noch unbekannt; nur die Kohlrübe,
die in der Hauptsache der menschlichen Ernährung diente, wurde
angebaut. Die Kartoffel kam noch nicht zum Anbau; sie verbreitete
sich zwar in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch
Eroberer in Europa, wurde zunächst in Spanien als Gartenpflanze
angepflanzt; der Anbau in Deutschland wurde durch Friedrich den
Großen (1740 bis 1786) entscheidend gefördert, erreichte
aber erst um 1850 größeren Anbauumfang und als Volksnahrungsmittel
große Bedeutung.
Die Kühe wurden mehr als Zugtiere denn als Milchtiere gehalten.
Zu dieser Zeit war die Viehhaltung noch sehr unrentabel. Der Bestand
an Rindvieh eines Hofes richtete sich nach der Flächengröße
und nach dem Eigenbedarf an Milch und Milchprodukten; der Milchverbrauch
war sicherlich wesentlich höher als heute, da Milchspeisen
jeden Tag auf den Tisch kamen. Eine frischmelke Kuh gab nicht mehr
als vier Maß = 6-7 Liter Milch, wie aus den Hardehauser Akten
ersichtlich ist. Wenn das wenige Heu verbraucht war, mußte
sich das Rindvieh im Winter mit Stroh durchhungern.
Einen für die heutige Zeit kaum verständlichen Umfang
nahm die Bienenzucht ein. Auf jedem Hof fand man einen Bienenstand
mit meist 8 bis 12 Bienenvölkern in Strohkörben; die Erträge
waren durch die günstigen Trachtverhältnisse sicherlich
weit höher als heute. Der Umfang war so groß, weil einmal
der Honig das einzige Süßmittel darstellte und zum anderen,
weil jedes Haus in Scherfede dem Kloster gegenüber einen Wachszins
zu erbringen hatte.
Der landwirtschaftliche Boden war wenig ertragreich, da Stalldünger
nur sehr begrenzt zur Verfügung stand und der Kunstdünger
erst um 1800 durch Albrecht Thaer (1752 bis 1828) erfunden wurde.
Die damals übliche Dreifelderwirtschaft – ein Drittel
Sommergetreide, ein Drittel Wintergetreide und ein Drittel Brachland
– und die als „Almende“ von allen gemeinsam genutzten
Weiden machten den einzelnen Bauern von der Gemeinschaft sehr abhängig
in der Bewirtschaftung seiner Flächen.
Zur Wohnung dienten dem Bauern Längsdielenhäuser, selten
auch Querdielenhäuser; Menschen, Vieh und Ernte waren unter
einem Dach. Das Vieh war zu beiden Seiten der Tenne untergebracht.
 |
 |
Die
vom Klosterabt in Hardehausen Stephan Overgaer 1695
erbaute Zehntscheune in Scherfede - 1977 grundlegend
renoviert - dient als Pfarrheim und als Stätte
der Begegnung und Bildung. |
|

 |
Zehntscheune in Scherfede, Eingang
Ostseite |
|
|

 |
Am
Eingang der Südseite der Zehntscheune in Scherfede
das Wappen des Erbauers Klosterabt Stephan Overgaer
(Herz mit drei Rosen). |
|
|
Die Wohnräume und die Küche befanden sich im hinteren
Teil des Hauses. Von der Küche aus konnten die Stallungen und
das Einfahrtstor überwacht werden (beim Längsdielenhaus).
Die Dächer waren mit Stroh gedeckt. Schornsteine waren noch
unbekannt, so dass der Rauch des offenen Herdfeuers über die
Tenne geleitet wurde; im Rauch hingen die einzelnen Schweineteile.
Die Beleuchtungsmittel, Wachskerzen und Rüböllampen, wurden
sparsam eingesetzt. Die Betten bestanden aus einer Strohschütte
oder Strohsack und einem schweren Federkissen-Oberbett.
Jede Familie baute Flachs an, verarbeitete diesen zu Linnen, das
als Material für Bettzeug, Wäsche und Kittel diente. Im
übrigen wurde manches Kleidungsstück aus Wolle gefertigt.
Es war ein Leben in einfachen und bescheidenen Verhältnissen;
und doch fühlte sich der Bauer mit seiner Familie in seinem
Dasein unter der Klosterherrschaft gesichert und geborgen und in
seiner Naturverbundenheit zufrieden, ja sogar froh und dankbar,
wenn der Herrgott seine Arbeit segnete. Bei Mißernten half
das Kloster Hardehausen mit Saatgut und Brotkorn aus seinen reichen
Vorräten aus. Auch Bauholz wurde meist unentgeltlich aus den
großen Klosterwaldungen abgegeben.
Es ist überliefert, dass das Kloster auch die heranwachsende
Jugend durch einen Magister im Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen
unterrichtete; so wurde festgestellt, dass in den Urkunden die Zahl
der des Schreibens Unkundigen seit 1500 immer geringer wurde. Abschließend
kann hier auch die Hilfe des Klosters bei der Verbesserung der landwirtschaftlichen
Bewirtschaftungsmethoden und des Obstanbaus erwähnt werden;
das Kloster förderte nicht nur das ewige, sondern auch das
zeitliche Wohl der ihm anvertrauten Menschen nach besten Kräften.
Eine gute christliche Haltung!
Die politische Verwaltung von Scherfede in diesen Jahren vor und
nach dem Dreißigjährigen Krieg fand durch den „Rat
der Fünf“ statt, der aus dem Richter von Scherfede (das
Richteramt in Scherfede wurde lange Jahre von Johann Thonemann ausgeübt),
dem Bauernmeister und dem ersten, zweiten und dritten Vorsteher
bestand, Personen, die vom Kloster ernannt und in ihre Aufgaben
eingewiesen wurden. Der Richter war der eigentliche Führer
der Gemeinde, der Bauernmeister regelte die Fruchtfolge der Dreifelderwirtschaft,
die Weidewirtschaft auf den Wiesen und die Folge von Hand- und Spanndiensten,
während die drei Vorsteher den beiden als Berater zur Seite
standen. Sicherlich kann bei einer solchen Ordnung von einer Selbstverwaltung
keine Rede sein. Der „Rat der Fünf“ trug nach unserem
heutigen Sprachgebrauch mehr exekutiven als legislativen Charakter.
Im Jahre 1430 erwirkte das Kloster wegen der andauernden Übergriffe
und Fehden vom Paderborner Fürstbischof das Recht, den Ort
Scherfede zu befestigen. Zwischen Egge und Diemel wurde durch Hand-
und Spanndienste aller Klosterangehörigen eine Landwehr errichtet,
die aus Wall und Graben bestand. Oben auf dem Wall wurden recht
dicht Hainbuchen gepflanzt, die später geköpft und deren
Äste zu einer festen Hecke ineinander geflochten wurden. Dazu
wurden Dorngebüsch, Wildrosen und Brombeerranken eingepflanzt,
damit eine wirksame Wehr entstand. Hinzu kam ein Wachtturm, der
in Fehdezeiten bei Tag und Nacht besetzt sein mußte. Der Wächter
mußte eine nahende Gefahr durch Feuerzeichen ankündigen.
1437 wurde gleichermaßen der Ort Rimbeck eingefriedigt.
Die Scherfeder blieben
dem bisherigen Glauben treu
Die Reformation hat auch Scherfede in Aufregung und Unruhe versetzt.
Als Graf von Waldeck, Bischof von Paderborn, zur neuen Lehre übertrat
und nach dem herrschenden Grundsatz „Cuius regio, eius religio“
dieses auch für die Bewohner seines Gebietes forderte, fanden
immer mehr Leute aus Scherfede den Weg nach Rhoden, rund 7 km südlich
von Scherfede, um dort den „neuen Predigern“ zu lauschen.
Da die Klostermönche in Hardehausen dem bisherigen Glauben
treu blieben, versuchten sie gemeinsam mit dem Pfarrer von Scherfede
ihre „Schäfchen“ zu ermahnen, die Sonntagsmesse
in Scherfede zu besuchen. Was die geistlichen Herren nicht vermochten,
so wird überliefert, das brachte ein Mann aus dem Volke fertig.
Folgendes geschah an einem Sonntagmorgen, als wieder die Bürger
von Scherfede in großer Zahl auf dem Wege nach Rhoden unterwegs
waren: In einer schmalen „Trift“ ertönte ein durchdringender
Schrei „Halt“. Besagter und besorgter Mann aus dem Volke
trat in den Weg und beschwor mit lauter und flehender Stimme seine
Brüder und Schwestern aus Scherfede, der Kirche der Väter
und der Generationen vor ihnen doch treu zu bleiben, den überlieferten
Glauben zu bewahren und der Kinder wegen ihn weiterzugeben sowie
das Taufgelübde nicht zu brechen. Seine aufrüttelnden
Worte waren so erfolgreich, dass alle laut ihre Treue gelobten,
kehrtmachten und die Rückkehr zum alten Gotteshaus sofort in
die Tat umsetzten. Der Pfarrer ließ an der betreffenden Stelle
ein Holzkreuz mit Corpus errichten, um die Dankbarkeit gegen Gott
sichtbar zum Ausdruck zu bringen. In jedem Jahr erfolgt von der
Scherfeder Kirche die Markusprozession zum „Weltkes-Kreuz“
(damaliger Grundstückseigentümer: Weltkes).
Scherfede im 30-jährigen Krieg
Der Ort Scherfede wurde zu Beginn des 30-jährigen Krieges zunächst
noch verschont, jedoch kam es in den folgenden Jahren um so schrecklicher.
Es begann im Winter 1621/22, als Herzog Christian von Braunschweig,
der „Tolle Christian“ genannt, in das Fürstbistum
einfiel und die von den Kurkölnischen Soldaten verteidigte
Stadt Warburg angriff. Die Verhandlungen zwischen den beiden Kriegsparteien
ergaben für den Abzug eine Kontributionssumme von 145000 Talern,
widrigenfalls die ganze Gegend zerstört und man „alle
Bauern niederhauen lassen“ werde. Während die geforderte
Zwangsbeitragssumme beigetrieben wurde, hauste das zügellose
Kriegsvolk in entsetzlicher Weise. Den Dörfern wurden Brandbriefe
(an den Ecken angebrannte Briefe mit Umschrift Feuer und Blut) übergeben.
Die eingeschüchterten Bewohner, auch von Scherfede, gaben alles
an Lebensmittelvorräten und Geld und Wertsachen, nur um das
nackte Leben und das Dach über dem Kopf zu retten. Auch die
angrenzenden Hessen fielen in das Paderborner Hoheitsgebiet immer
wieder zerstörerisch ein. Von August 1633 bis Mai 1646 waren
Schweden unter General Baudissin mit mehreren Regimentern im Warburger
Land. Erneut zogen mal diese, mal jene Truppen brandschatzend durch
die Dörfer um Warburg. 1642 und 1643 waren die katastrophalen
Unglücksjahre für Scherfede. Als Ergebnis der furchtbaren
Zerstörungen dieser schrecklichen Kriegsjahre folgende Statistik:
„Von allen Häusern dieser Zeit in Scherfede (1643) wurden
* niedergebrannt und zerstört; von gut 100 Familien waren 1643
noch 33 vorhanden; nur 18 bäuerliche Betriebe standen noch
in eingeschränkter Funktion. An Pferden waren noch fünf
und an Rindvieh noch 78 Stück vorhanden, darunter 20 Kühe".
Die in großer Blüte stehende Schafzucht war vollkommen
vernichtet worden. Rund 30 Häuser (Wohnhäuser und Nebengebäude)
standen noch, von den anderen heißt es wörtlich: „alles
umgehauen, alles verbrannt, verwüstet und verdorben.“
Auch die Familie Johann Thonemann wurde hart getroffen; in der Statistik
heißt es: „Johann Thonemann 2 Häuser verbrannt“.
Da nun jegliches Wagen- und Ackergerät fehlte, auch die Zugtier,
dachten die im Ort Verbliebenen nicht mehr daran, ihre Äcker
zu bestellen, auch im Hinblicke darauf, dass morgen oder übermorgen
neue Requirierungen oder Zerstörungen stattfinden würden.
Die Geldschulden der 33 noch anwesenden Familien betrugen laut Register
2400 Taler, eine hohe Schuldsumme, wenn man den Vergleich zu einem
guten Pferd zieht, das in jener Zeit mit 10 Talern bezahlt wurde.
Die obdachlos und völlig mittellos gewordenen Bewohner vagabundierten
auf der Suche nach dringend nötiger Nahrung im Land umher oder
schlossen sich, um überhaupt weiterleben zu können, durchziehenden
Truppen an, mit denen sie dann ebenso zügellos lebten und plünderten
wie diese.
Wieviel Menschenleben diese bösen Jahre allein aus dem kleinen
Ort Scherfede forderten, ist nicht bekannt. Dass von den Söldnern
und Banditen viele im Ort ihr Leben lassen mußten, kann aus
den späteren Funden beim Ausschachten für den Schulbau
in Scherfede aus den aufgefundenen Gebeinen und den Waffen des Krieges
geschlossen werden.
Wie schrecklich einzelne Jahre des Dreißigjährigen Krieges
für jeden Bürger sein konnten, kann einem Bericht von
Pfarrer Wahle entnommen werden: „1638 haben die Regimenter
Götz in Wrexen (ca. 3 km südwestlich von Scherfede) mit
übermäßigem Branntwein- und Biersaufen, Geldpressung,
Fruchtverderbung und schändlicher Hurerei solch Unheil angerichtet,
dergleichen allhier noch niemals vorgegangen. 1640 am Neujahrstage
haben die Stadtbergischen zu Roß und Fuß Werthen (ca.
5 km südostwärts Scherfede) überfallen, alles Vieh
mitgenommen, auch den Leuten Schuh und Kleider ausgezogen, alle
Viktualien (Lebensmittel, Eßwaren) an sich gerissen. Im Zurückziehen
haben sie Wrexen überfallen, 13 Kühe und etliche Ziegen
ertappt und sengt wie in Wethen.“
Es
ist wohl eindeutig, dass sich Roheit und Zuchtlosigkeit der Soldaten,
Söldner und der vagabundierenden Gruppen auch auf die verbliebenen
Bauern in der Abwehr von Feindseligkeiten und dem Schutz der Familienangehörigen
sowie von Haus, Vieh und Lebensmitteln übertrug.
Zu allen furchtbaren Geschehnissen durch den Krieg kam als ständiger
Begleiter dieser Kriegsfurie noch der „Schwarze Tod“
hinzu, Pest (Seuche, die früher meist zum Tode führte)
und Blattern (Pocken, eine ansteckende und gefährliche Seuche
– Sterblichkeit um 30 % der Befallenen bei mittlerer Schwere).
|
 |
Mönchhof Scherfede um die Jahrhundertwende |
|
|
Auch das Kloster Hardehausen wurde schwer betroffen durch den Krieg;
es konnte die Sicherheit und den Schutz der Dörfer überhaupt
nicht mehr gewährleisten. Es heißt in einem Bericht von
1632, dass „die Mönche heimatlos im Lande umherirrten“.
Am Ende des Krieges 1648 bestand der Konvent noch aus sechs Mönchen
und Novizen
Nach dreißig Jahren ertönte das Wort Friede im Jahre
1648. Dreißig Jahre des Schlachtens, des Brennens, der Plünderung,
der Verwüstung und der Krankheiten. Zwei Drittel, die Elite
der Bevölkerung, waren dahingerafft. Was noch überlebte,
war gebrochen, verwildert; ein „Hauch der Verwesung"
hatte sich über Deutschland ausgebreitet. Wenn eine Nation
an ihrer eigenen Sprache und Haltung irre wird, wie die deutsche
in jener Zeit, so ist es ein Zeichen, dass sie in ihrem innersten
Mark angegriffen ist. Die Schilderungen des Elends jener Zeit lauten
entsetzlich.“ (Dr. v. Weiß)
Scherfede nach dem Kriege
Scherfede
hatte am Ende des Krieges nur noch ca. 200 Einwohner in 35 Häusern;
die Bewohner waren mit wenigen Ausnahmen Bauern. „Den größten
Landbesitz wiesen auf die Bauern Thonemann, Lossen, Fleigen, Wiemers
und Locken“. Sie besaßen je über 60 Morgen.
Nach dem langen Krieg trat in den Besitzverhältnissen eine
entscheidende Änderung ein. Während in der Zeit vor dem
Krieg, besonders zur Zeit der Blüte von Hardehausen, das Kloster
die Ländereien den Bauern zu Lehen gab, zwang nach dem Krieg
der Mangel an dienenden Brüdern oder sonstigen Hilfskräften
im Kloster, die Eigenwirtschaft in den Klosterdörfern, auch
in Scherfede, aufzugeben und den Landbesitz an die Bauern in Pacht
zu vergeben. Die dauernde Geldverlegenheit des Klosters ließ
so nach und nach eine grundsätzliche Änderung zu: die
Bauern konnten das Land zu Eigentum erwerben. Davon wurde wegen
der ständigen Geldknappheit des Klosters eifrig Gebrauch gemacht.
Auch das gewerbliche Leben in Scherfede gewann nach dem Kriege wieder
an Bedeutung. Eine schon früher bestandene Verkaufsstelle für
gewerbliche Produkte handelte mit handwerklichen Erzeugnissen. Auch
die Herstellung von Pottasche (Kaliumcarbonat K2CO3 – bei
der Seifen- und Glasherstellung benötigt – durch Auslaugen
von Pflanzenasche mit Wasser und Eindampfen dieser Lösungen
in Töpfen – „Pötten“ gewonnen) nahm
in Scherfede nachweisbar wieder zu. Das Schmiedehandwerk widmete
sich wieder der Herstellung von Ackergeräten und führte
Pferde- und Wagenbeschlag aus. Die Schuhmacher und Schneider arbeiteten
seinerzeit im Haus der Auftraggeber; sie erhielten meistens Naturalien
sowie Kost als Entgelt, auch häufiger Gespannleistungen für
die selbst von ihnen bearbeiteten Äcker.
|
 |
Gasthof Knepper (heute, 1994, Luis) |
|
|
Fleischer und Bäcker gab es noch nicht, lediglich den Hausschlachter,
der in die einzelnen Häuser zum Schlachten und Verarbeiten
des Viehs ging. Das Brot haben die meisten Familien im eigenen Backofen,
der in der Regel abseits des Wohnhauses im Garten stand, gebacken.
Der Stellmacher fertigte auf Bestellung die Wagen an, aber auch
Bettstellen und sonstigen Hausrat. Die Hebamme genoss im Dorf besonderes
Ansehen; neben ihrer Aufgabe als Geburtshelferin wurde sie als Ratgeberin
und Pflegerin bei allen schweren Krankheiten herangezogen. In den
Kirchenbüchern wurde bei Eintragung ihres Todes auch die Zahl
der Geburten vermerkt, bei denen sie als Helferin zugezogen worden
war.
Aus den Kirchenbüchern der Pfarrgemeinde Scherfede, die im
Jahre 1640 beginnen, kann man einen Einblick in die Familienverhältnisse
aus dieser Zeit gewinnen, so z. B.
die
Taufe erhielten: |
1640
3 Kinder |
1644
20 Kinder |
1650
33 Kinder |
1660
45 Kinder |
1670
53 Kinder |
|
|
gestorben
sind: |
1640
8 Personen |
1641
25 Personen |
1648
6 Personen |
1650
13 Personen |
1660
17 Personen |
|
Zwölf Jahre nach Beendigung des Krieges, im Jahre 1660, zeigen
die angegebenen Zahlen einen gleichmäßigen, langsamen
Anstieg. Das Leben verlief wieder in normalen Bahnen. Auffallend
groß war jedoch in diesen Jahren die Kindersterblichkeit.
So befanden sich doch unter 17 Toten aus Scherfede 8 Kinder, 1676
unter 61 Toten der drei Klosterdörfer sogar 35 Kinder. Hierfür
waren wohl die Seuchen, vorwiegend die Blattern, verantwortlich.
 |
 |
Die Inschrift über der Tür des Hauses Briloner Str. 38
(heutige Besitzerin, 2001, Margarete Ploeger) lautet:
BERHARDVS SCHEISERS VND SEINE EFRAU ELISABEHA SCHWIGARDI HABEN AUF
GOT SÜR TRAUERT UND DIESES HAUS GEBAUT IM JAHRE ANNO 1798 |
|
|
Zum Ende des 17. Jahrhunderts kamen in Scherfede wieder geordnete
Verhältnisse auf, da der fleißige und durchsetzungsbereite
Westfalengeist wieder die Oberhand gewann.
Von Interesse ist wohl die damalige Schreib- und Ausdrucksweise
vor drei Jahrhunderten, die von der heutigen doch stark abwich;
als ein Beispiel des Schreibens und des Ausdrucks soll hier aus
dem Schatzungsregister aus dem Jahre 1717 von Scherfede berichtet
werden, bei dem "Aredt tohnemann" beteiligt war:
"Anno 1717 drei May Undt Nachfolgenden wochen Undt tagen subReverendissino
ac Amplissimo Dno. Laurentio Kremper Abbato hardehusano, sind die
in der Scherfedeschen feldmark liegende ländereye wiesen Undt
gahrten Von Johannes Boden, Landmesteren aus pickelsheimb quodam
camerario daselbst dessen Ruthenschläger gewesen, Undt vom
Abt erstlich beeydigt worden, Aredt tohnemann Undt Conrad riesen
so gemessen, Undt zu register gebracht worden, Von dem Richter,
Burgemeister, Vorsteher Undt ältesten aber aus der Gemeinheit,
zur Schatzung gesetzt wie es Vor Undt allezeit gewesen:"
Nach dem Register von 1717 hatte Johann Thonemann nach Johann Möller
und Ricus Biggen den größten Grundbesitz mit 65 Morgen
in Scherfede. Als selbständige Bauern waren nur die Besitzer
einer Ackernahrung (mindestens 30 Morgen) anzusehen. Die Grundstücke
waren noch nicht katastermäßig erfaßt und festgelegt,
sondern wurden durch Angabe der benachbarten Grundstücke verbucht.
Das geerntete Korn war recht schwierig zu reinigen; die vielen Unkräuter
verunreinigten nicht nur den Acker, sondern beeinflussten auch den
Geschmack des Brotes. Die Ackergeräte waren äußerst
primitiv gegenüber den heutigen. Eine mittlere Ernte ergab
bei Durchschnittsackerböden an Roggen und Gerste etwa 5 Scheffel
(= 200 kg), an Hafer rd. 6 Scheffel. Die Preise bewegten sich bei
Hafer, Roggen und Gerste zwischen 10 und 18 Silbergroschen für
den Scheffel (80 Pfund); ein Morgen Ackerland wurde mit 8 bis 15
Talern, je nach Bodengüte, bezahlt.
 |
 |
Die Inschrift über der Tür des Hauses Briloner Str. 23
(heutiger Besitzer, 2001, Ferdinand Döring) lautet:
GOT SEY DER BESCHÜTZER UND SEGNE DEN BESITZER JOSEPH DÖRING
· UND SEINE MUTTER HABEN AUF GOT VERTRAUT UND DIESES HAUS
GEBAUET. ANNO 1811 |
|
|
Auffallend bei der Betrachtung der Eigentumsverhältnisse ist
der häufige Besitzerwechsel in der Zeit zwischen 1717 und 1790.
Nur sieben Höfe blieben in dieser Zeitspanne im alten Besitz;
vermutlich eine Folge des Siebenjährigen Krieges, der viele
Opfer forderte und manchen arm gewordenen Hofbesitzer abwandern
ließ.
Im Frühjahr 1758 zogen fast täglich Truppen durch Scherfede
und Rimbeck; ein Regiment deutsch-englischer Truppen wurde von Oktober
1758 bis Ostern 1759 in Warburg und in den Dörfern Rimbeck,
Ossendorf und Scherfede einquartiert. Am 31. Juli 1760 kam es in
der Gegend von Scherfede zur Schlacht zwischen den englischen und
französischen Truppen. Die Franzosen mußten weichen;
ein Morden und Gemetzel begann. Ergebnis: 3000 Tote und Verwundete
bedeckten das Schlachtfeld.
In den folgenden Jahren bildete die Diemel die Grenze. Scherfede
und Rimbeck hatten durch die ständigen Truppenbewegungen und
Plünderungen zu leiden. Da die Truppenverbände viel Brennholz
benötigten, wurden die nahen Wälder gerodet, Zäune
und Scheunen abgerissen und verbrannt. Eine starke Verschuldung
der Bauern machte sich breit, etliche wurden dadurch zum Verkauf
ihres Besitzes gezwungen. |